Immer mehr Horrorfilme befassen sich mit unserer gegenwärtigen Social-Media-Welt und erforschen dabei den existenziellen Schrecken des Influencer*innen-Daseins. In 2022 sind dabei drei sehenswerte Werke erschienen, die sich diesem Horror stellen.

Irgendwie ist uns bewusst, dass auf Social Media erfolgreiche Menschen in einer flauschig-weichen, über-saturierten Scheinwelt leben, die ähnlich oberflächlich ist wie Werbung im Fernsehen. Sich über Influencer*innen lustig zu machen und sie zu kritisieren ist nicht nur fester Bestandteil zunehmend veraltet wirkender Medien wie dem abendlichen Satire-Programm oder bissiger Kommentare von Zeitungsjournalist*innen, sondern auch eines der Haupt-Beschäftigungen im Internet selbst. Diese Haltung übernimmt oft auch die Filmwelt – Werke wie Bodies Bodies Bodies (2022) entlarven auf zynische Art und Weise Influencer*innen für ihre künstlich positive Oberflächlichkeit, unter der sich ganz gegensätzliche Persönlichkeiten verbergen.

Zunehmend wagen es jedoch auch einige Filme, tiefer in die Thematik vorzudringen und das emotionale Innenleben von Influencer*innen zu durchleuchten. Auf die Toplisten der bestbewerteten Horror-Filme klettern mehr und mehr Werke, die sich rund um die erschreckenden Effekte der Online-Präsenz drehen. Denn die Arbeit als Influencer*in bringt einen ganz speziellen, existenziellen Horror mit sich. Filme wie Deadstream, Sissy und Hatching konstruieren Hauptcharaktere, die sich als Influencer*innen in einem Netz aus Performance, Oberflächlichkeit und Sehnsucht nach Bestätigung verfangen – und dabei einen Blick tief in ihre Seele riskieren müssen, um sich den Seiten ihrer Selbst zu stellen, die sie normalerweise vor den Augen ihrer Follower*innen verbergen.

Oft werden in solchen Filmen die Effekte von Influencer*innen auf die Gesellschaft problematisiert. So offenbart beispielsweise das Konzept der „parasozialen Beziehung“ die Kälte, die sich hinter der gekünstelten Friede-Freude-Scheinwelt von Influencer*innen verbirgt. Gemeint ist mit diesem Begriff die Scheinbeziehung, die YouTuber*innen, Instagramer*innen und Co. mit ihrem Publikum aufbauen. Ihre digitale Gefolgschaft wird mit Phrasen begrüßt und verabschiedet, die man sonst eher für seine engsten Freund*innen reserviert: „Ich liebe euch! Ihr seid die Besten! Wegen euch bin ich da, wo ich jetzt bin!“ Sicher ist nicht jedem Content-Creator abzusprechen, dass er oder sie tatsächlich Dankbarkeit für das Engagement involvierter Fans empfindet – trotzdem ist diese parasoziale Inszenierung unbestreitbar auch eine Taktik, um das Publikum an sich zu binden und zu langfristigen Konsument*innen von gesponserten Posts und hauseigenem Merch zu verwandeln. Für so manche „Digital Natives“ – also Menschen, die mit dem Internet als fester Bestandteil ihres Alltags aufgewachsen sind – kann die langsame Erkenntnis, dass der Lieblings-Gamer auf YouTube oder das Beauty-Vorbild auf Instagram gar kein wahres Interesse an einem hat, eine extrem isolierende Erfahrung sein. Vor allem dann, wenn die Masse an online investierter Lebenszeit zu einem Defizit an einem echten Sozialleben geführt hat.

Doch was bedeutet es, auf der anderen Seite dieser Dynamik zu stehen? Ist es vielleicht zu einfach, die Verantwortung hierfür vollständig auf die Personen zu legen, die es ins digitale Rampenlicht geschafft haben?

In Sissy muss sich Cecilia, die einen erfolgreichen Instagram-Account mit Fokus auf mentale Gesundheit betreibt, diesen Fragen stellen, als sie auf eine alte Freundin trifft und unterdrückte Erinnerungen an Mobbing, freundschaftlichem Verrat und Gewalt an die Oberfläche ihres vermeintlich erleuchteten Bewusstseins brodeln. Und das, nachdem sie mühsam ihr augenscheinlich perfektes Leben – erfüllt mit dem Mantra „Ich werde geliebt. Ich bin besonders. Ich bin genug.“ – aufgebaut hat. Als sie von besagter früherer Freundin auf einen Junggesell*innenabschied eingeladen wird, lockt sie die Aussicht auf echte soziale Bindungen aus ihrer traurigen, beengenden Wohnung. Als sie dort aber hauptsächlich kritisch beäugt oder ignoriert wird, zieht sie sich doch wieder zurück, um sich einem Drogenrausch gleich mit den liebevollen Kommentaren ihrer Fans zu trösten. Doch je tiefer sie in den Sog ihrer lieblosen Vergangenheit gezogen wird, desto weniger kann Cecilia durch die oberflächliche Liebe ihrer Follower*innen befriedigt werden. Ihre Sehnsucht, wahrhaft verstanden und um ihrer selbst willen akzeptiert zu werden, führt schließlich zu blutigen Ausschreitungen, wobei man die emotionale Lebenswelt und Beweggründe der spontanen Massenmörderin zumindest bis zu einem gewissen Grad nachempfinden kann.

Nach Liebe sehnt sich auch die zwölfjährige Tinja, die Tochter einer Influencerin, die das perfekte Alltagsleben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern online öffentlich teilt. Der finnische Film Hatching greift zur Betonung der auf der Oberfläche liebevollen, aber doch eigentlich entfremdeten Mutter-Tochter-Beziehung das etablierte Internet-Genre des Familien-Vlogs auf. Eine Kategorie der Online-Welt, die trotz – oder gerade wegen – ihrer scheinbaren Unschuld nicht ohne Kontroversen davonkommt.

Besonders fällt hier ein ganz bestimmtes Video ins Auge, das 2021 unbeabsichtigt veröffentlicht wurde und viral ging. Während darin eine vloggende Mutter den potenziell drohenden Verlust des geliebten, schwerkranken Familienhundes mit ihrem weinenden Sohn bespricht, drängt sie ihn zunehmend gereizt dazu, endlich traurig genug für die Thumbnail auszusehen. Die Influencerin vergaß, diesen Teil herauszuschneiden und lud das Video hoch. Es folgte eine Welle der Kritik, die schnell zu größeren Diskussionen über die Ethik von Familien-Vlogs im Allgemeinen führte.

Ähnlich verhält sich auch die Mutter in Hatching. Auf dem ersten Blick wirkt es so, als würde sie ihre Kinder lieben, doch wird im Laufe des Filmes schnell klar, dass sie sich nicht wirklich für deren Innenleben interessiert. Wichtig ist nur, was nach außen scheint, wie beispielsweise Tinjas Karriere als professionelle Turnerin, zu der sie selbst nie fähig war. Tinja, die sich offensichtlich nach familiärer Liebe sehnt, arbeitet hart an sich, um den Perfektionismus ihrer Mutter zu befriedigen und deren Anerkennung zu erhalten. Währenddessen hat sie ein Geheimnis, das alles noch komplizierter macht: Aus einem geretteten Ei, das sie zärtlich umsorgt, schlüpft eines Tages ein sich ständig veränderndes Monster, zu dem sie mütterliche Gefühle entwickelt und das sie vor ihrer Familie versteckt – mit schrecklichen Konsequenzen. Zwar existiert das Monster in der Welt des Filmes wirklich, doch brodeln unter der Handlung auch metaphorische Implikationen: Wie ein Vogelbaby ernährt sich das Monster von Tinjas Erbrochenem, wodurch Parallelen zu Essstörungen gezogen werden, die auch durch den Druck und Perfektionismus ihres Umfelds ausgelöst werden. Das Monster wiederum, das Tinja in seiner ständigen Metamorphose mehr und mehr ähnelt, könnte den Teil ihres Selbst repräsentieren, den sie vor ihrer Mutter verbergen muss – voller Wut und Trauer, hungrig und echt. Tinjas Lügen mit dem Ziel, das Monster weiter zu verstecken, führen nur zu ihrer wachsenden Isolation. Und das, obwohl die Anzeichen, dass etwas Seltsames vor sich geht, offensichtlich sind. Letztendlich wird das Monster nicht entdeckt, weil die Erwachsenen in Tinjas Leben sich nicht wirklich um sie scheren und sich lieber abwenden, als mit einem Problem zu konfrontieren. Schritt für Schritt ist das Mädchen so zunehmend isoliert – mit dem Monster genauso allein wie mit ihrer von ihren Eltern ignorierten Trauer und Wut.

Weniger bedrückend und dafür mit mehr Humor geht der Found-Footage-Film Deadstream an den Horror des Influencer*innen-Daseins heran. Als würde man sich durch verschiedene Social-Media-Kanäle klicken, deckt man darin über Rückblicke die Vergangenheit des YouTubers Shawn auf, der gerne mit verrückten Stunts provoziert. Darunter eine Baby-Moses-Challenge, bei der er als Säugling verkleidet versucht, auf einem Boot einen reißenden Fluss zu überstehen. Oder auch die simulierte, halsbrecherische Schmuggelaktion im Kofferraum eines Autos, wie sie viele mexikanischen Immigrant*innen durchmachen. Anscheinend trieb Shawn es mit seinen Streichen jedoch zu weit, denn er wurde gecancelt – die Online-Welt hat sich, durch seine unsensiblen Aktionen angewidert, größtenteils von ihm abgewandt. Nach einem klischeehaften Entschuldigungsvideo, in dem sich keine echte Reue erkennen lässt, will er es jetzt mit Geistern in einem verlassenen Haus mit düsterer Vorgeschichte aufnehmen, um sich zu bestrafen und seine Schuld zu tilgen – das Ganze streamt er natürlich live. Shawn verhält sich dabei wie so mancher echter Streamer oder YouTuber: er ist laut, übermäßig schreckhaft, nimmt kein Blatt vor den Mund und kommt doch etwas zu übertrieben und gekünstelt rüber. Wie andere Influencer*innen auch, setzt er eine unterhaltsame Maske auf. Als die Konfrontationen mit den Geistern aber handfester werden als erwartet, bekommt diese Maske zunehmend Risse. Offenbart wird ein zutiefst verunsicherter Mensch, der durchaus das Potenzial zu aufrichtiger Reue und Besserung hat.

Was alle drei Horrorfilme verbindet, ist ein tiefgehender Blick darauf, was es überhaupt bedeutet, sein Leben online zu teilen und sich öffentlich zu inszenieren – und wie trotz hoher Follower*innenzahlen Influencer*innen letztlich vor allem oft eines sind: Einsam. In einer Welt, die es jedem abverlangt, erfolgreich zu sein – und dabei diesen Erfolg vor allem an finanziellem und sozialem Kapital bemisst – befolgen sie in gewisser Weise schließlich auch einfach unsere gesellschaftlichen Regeln und Werte. Gleichzeitig schrecken die Filme jedoch trotzdem nicht davor zurück, berechtigte Kritik an den Influencer*innen zu üben. Auf diese Weise offenbaren diese Werke, dass auch eine parasoziale Beziehung in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext nicht einseitig ist. Für jeden problematischen YouTuber braucht es Zuschauer*innen, die ihm in seinem Tun bestärken. Für jede oberflächliche Influencerin braucht es Follower*innen, die fleißig jeden Post konsumieren und somit ihre Sponsoren anlocken.

Letztendlich sehnen wir uns als Menschen – Influencer*innen und Konsument*innen gleichermaßen – in unserer emotional erkalteten Welt nach derselben Sache: Liebe. Und um diese in ihrer aufrichtigsten Form zu erhalten, müssen wir riskieren, unsere Masken abzulegen. So angsteinflößend diese Tatsache auf den ersten Blick auch wirken mag.