Die Geschichte des Lebens auf der Erde – und damit auch die Geschichte des Sterbens – ist bekanntlich lang. Schon vor der Entstehung des Menschen war das restlose Verschwinden ganzer Arten eine unvermeidbare Realität der Natur, Teil eines ständigen, schleichend langsamen Wandels eines Planeten, dessen Lebensumstände sich über die Millenia drastisch verändern konnte, dessen Klima umschlägt und der sogar kosmischen Einflüssen wie dem Einschlag gigantischer Asteroiden nicht gänzlich entgeht.
Trotz all dieser Mächte ist der Mensch jedoch für das schnellste Artensterben der Erdgeschichte verantwortlich, mit einer Aussterbe-Rate über hundertfach höher als der Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre.1 Somit hat die Menschheit die zweifelhafte Ehre erhalten, in den Namen des derzeitigen geologischen Zeitalters aufgenommen zu werden: Das Anthropozän.2 Der Mensch ist zu einem bestimmenden Faktor für das globale Ökosystem geworden und hat seinen Heimatplaneten grundlegend verändert. Zuerst zahlen hierfür jedoch andere den Preis.
Was bedeutet es, wenn ein Tier ausstirbt? Können wir als Menschen überhaupt die Tragik der Auslöschung einer Spezies fassen? Um die Katastrophe des Massenaussterbens auch nur ansatzweise verstehen zu können, sollten wir nicht nur auf Statistiken zu fast vergessenen Tierarten schauen, sondern einzelne Opfer genauer betrachten. Denn auf ihrer Fährte können wir aus ihren Geschichten lernen.
Eine besondere Wirkung haben Fotos von Tieren, die die letzten lebenden Überbleibsel ihrer fast ausgestorbenen Art sind. Selten sind diese Bilder jedoch so traurig und poetisch arrangiert wie diese Aufnahme eines Berberlöwen:

Im Jahr 1925 gelang dem Fotografen Marcelin Flandrin der Schnappschuss während eines Flugs über dem Atlasgebirge in Marokko.3 Somit ist hier das letzte bekannte Foto eines wilden Löwen seiner Art zu sehen. Obwohl der Berberlöwe als stark und groß galt, wirkt er hier klein und verwundbar. In die Ungewissheit schreitend, hinterlässt er Spuren im Sand, die der Wind kurz darauf für immer verwischen wird. Fast vergessen scheint dieser Löwe, der einst ins alte Rom verschleppt wurde, um im Kolosseum gegen Gladiatoren zu kämpfen4 und wahrscheinlich Mythen wie den des unverwundbaren Löwens von Nemea inspirierte, dessen Ebenbild die Göttin Hera als Sternbild auf ewig in den Himmel gesetzt haben soll.
Beschäftigt mensch sich mit ausgestorbenen Tieren, verwischen schnell die Grenzen zwischen Mythos und Wirklichkeit. Generell ist es schwer, mit absoluter Sicherheit den genauen Zeitpunkt festzulegen, zu dem eine Spezies vollkommen erloschen sein soll. Noch kniffliger wird es, wenn immer wieder Zeug*innenberichte auftauchen und abenteuerlustige Wanderer oder sogar etablierte Forscherinnen mit vollster Überzeugung davon berichten, ein Exemplar einer ausgestorbenen Tierart gesichtet zu haben, jedoch keine Beweise hierfür vorlegen können.
Der Kaspische Tiger war eine Großkatze, die ebenfalls fantastische Züge besaß. Als eine der größten Tiger-Arten aller Zeiten regierte er über ein gigantisches Gebiet, das sich vom nördlichen Iran bis hin ins westliche China erstreckte.5 Tragischerweise wurde sein Reich durch die wachsende menschliche Bevölkerung und deren ausweitende Agrarflächen Stück für Stück nahezu vernichtet – mit tödlichen Folgen. Im Zuge der russischen Kolonisierung von Turkestan fanden die letzten Kaspischen Tiger ihr herbes Ende. 1970 soll das einzige verbliebene Exemplar getötet worden sein. Dennoch glaubten einige Menschen sogar bis zu zwanzig Jahre später noch, die Augen einzelner Kaspischer Tiger im Dickicht funkeln zu sehen.

Vielleicht das bekannteste Beispiel eines ausgestorbenen Tieres um das sich bis heute zahlreiche Gerüchte, Legenden und sogar Verschwörungstheorien ranken, ist der Beutelwolf, auch Tasmanischer Wolf oder Tasmanischer Tiger genannt. Zur letzten offiziellen Vertreterin dieser Art haben wir sogar ein Video, das 1933 in einem Zoo in Tasmanien aufgenommen wurde. Das Weibchen würde drei Jahre später infolge von nachlässiger Pflege an Depressionen und der Kälte eines harten Winters sterben.6 Vermutlich wusste der Tierpark lange gar nicht, das letzte lebende Exemplar einer fast erloschenen Spezies gehalten zu haben.
Wie so viele andere Kreaturen Ozeaniens hat die Anatomie des Beutelwolfs etwas ungewöhnliches, fast befremdliches. Der überproportional wirkende Kopf, die langen Hinterbeine, der kurvige Rücken mit den Streifen … Seine Merkmale zeugen von den vielen hundert Millionen Jahren der evolutionären Entwicklung, die in der Region parallel zum Rest der Welt verliefen und in wundersamen, eigenartigen Tierarten mündeten.7
(Echt seltsam: Kängurus sehen aus wie halbstarke Boxer, der Ameisenigel gleicht einem kleinen Stachelschwein mit schnabelartigem Rüssel und in der australischen Wildnis leben noch dazu Schnabeltiere. Schnabeltiere!)
Trotz seiner Ähnlichkeit zu Hunden hat der Beutelwolf jedoch herzlich wenig mit unseren Haustieren oder gar Wölfen zu tun. Er konnte sich sogar aufrichten wie ein Känguru und wenn nötig ein paar zweibeinige Hopser machen. Und nicht nur die Weibchen, sondern auch die Männchen verfügten über Beutel.
Siedler*innen waren überzeugt, der Beutelwolf würde wie der europäische Wolf ihre Nutztiere reißen, weshalb er gezielt gejagt wurde. In den 1980er Jahren wurde er schließlich für ausgestorben erklärt, da es seit etwa 50 Jahren keine offiziell bestätigten Sichtungen mehr gegeben hatte.
Doch nicht alle wollten es dabei belassen. Einige tausend Australier*innen sind überzeugt, lebendige Beutelwölfe in den Weiten der Tasmanischen Wälder – die eine Fläche beinah so groß wie die Schweiz bedecken – finden zu können. Zusammen haben sie sich zur “Thylacine Awareness Group of Australia” zusammengetan, kurz “TAGOA”. Ihr Gründer Neil Waters investiert enorm viel Zeit und Ressourcen darauf, den Beutelwolf wiederzuentdecken und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Interesse der Wissenschaft für das (vermeintlich?) ausgestorbene Tier zu erwecken.8
Letzteres gelingt ihm zumindest ganz gut. Forschende setzen sich durchaus mit seinen Beweisstücken auseinander, bisher jedoch mit dem ernüchternden Ergebnis, dass seine Fotos keine Beutelwölfe im tasmanischen Unterholz zeigen, sondern wahrscheinlich andere Kreaturen wie etwa Filander, eine kleine Beuteltier-Gattung aus der Familie der Kängurus.9
Trotz der Kritik beharrt Neil Waters auf seiner Entdeckung. Zwar wäre ein direkter Vergleich nicht fair, aber die Obsession von Gruppierungen wie TAGOA erinnert durchaus an Pseudo-Forscher*innen à la Die Monster-Jäger aus dem Abendprogramm des Fernsehsenders DMAX, die sich der Entdeckung von fantastischen Kreaturen wie Bigfoot oder dem Chupacabra verschreiben. Gut möglich, dass Gruppen wie TAGOA genau wie die Bigfoot-Stalker des Suchens nie müde werden. Denn letztendlich ist die angebliche Existenz eines Wesens nicht wirklich falsifizierbar: Die Nicht-Existenz eines Beutelwolfs – oder eines Einhorns oder eines Drachen – zu beweisen ist rein praktisch nicht möglich. Wir können nicht überall gleichzeitig nachsehen und somit mit absoluter Sicherheit behaupten, das scheue Tier gäbe es nirgends. Solange niemand die eindeutigen Beweise für einen lebendigen Tasmanischen Tiger vorlegt, könnte er rein theoretisch noch irgendwo da draußen rumschleichen. Wie Fantasie-Gestalen wird der Beutelwolf mehr zu einem sagenumwobenen Mythos, als das wahrhaftige Tier zu bleiben, das tatsächlich einmal auf unserer Erde wandelte. Und wie bei Fantasie-Gestalten werden immer wieder mal Menschen behaupten und tatsächlich glauben, den Beutelwolf gesehen zu haben, bis immer unklarer wird, ob ein Wesen tatsächlich in der Welt existiert, oder sein Abbild als Produkt unseres eigenen Verstands wie eine Fata Morgana dorthin projiziert wird.
Andere verfolgen jedoch lieber eine alternative Taktik, um Tierarten von der Liste der verlorenen Spezies zu streichen. Bei seiner Beliebtheit unter Fauna-Fans ist es kein Wunder, dass Wissenschaftler*innen bestreben, den Beutelwolf durch Klonen wieder zum Leben zu erwecken. Die texanische Firma Colossal Biosciences, vornehmlich bekannt für ihre Arbeit an der Wiederauferstehung des Mammuts, gab in 2022 bekannt, dass sie auch den Tasmanischen Tiger zurückholen wolle.10 Dies sei ein vielversprechendes Projekt, da der Beutelwolf erst vor relativ kurzer Zeit ausgestorben ist und in Teilen Tasmaniens weiterhin mit den üblichen Beutetieren seines Speiseplans überleben könnte.
Doch Menschen wie Carol Freeman, eine Tierforscherin der University of Tasmania, äußern Bedenken: “[…] über das Wohlergehen der einzelnen Tiere wird nicht wirklich gesprochen.” Die Experimente seien ethisch nicht vertretbar, vor allem bei so einem unsicheren Ausgang. “Es würde, wenn überhaupt, viele Jahre dauern, bis geklonte Beutelwölfe auch nur annähernd das Leben führen könnten, das sie in freier Wildbahn geführt hätten – und verdient hätten,” warnt Freeman.
So nobel das Wiederbeleben einer ausgestorbenen Spezies auch erscheinen mag, so kompliziert sind auch die philosophischen Fragen, die wir uns bei so einem Prozedere stellen sollten. Machen wir uns selbst damit womöglich einen größeren Gefallen als den ausgestorbenen Tieren? Ist es vielleicht mehr unser eigenes Ego, das wir bedienen, indem wir uns wie Götter inszenieren, die über Tod und Leben, über das Schicksal ganzer Spezies bestimmen?
Die destruktive, fast gottgleiche Macht des Menschen über seine Mit-Erdlinge scheint nahezu grenzenlos. Besonders verstörend ist etwa die Auslöschung der Wandertaube. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte sie zu den häufigsten Vogelarten der Welt – mit einem Bestand von sage und schreibe drei bis fünf Milliarden Exemplaren – die in so gigantischen Schwärmen durch die Welt zog, dass ihre schiere Größe die Vorstellungskraft heutiger Menschen übersteigt. So schrieb der Ornithologe Alexander Wilson über die Wandertaube:
Als ich Freunde in Neuengland besuchte und in der Küche saß, wurde der Himmel plötzlich dunkel, es gab kein Licht im Raum und ein grollendes Geräusch wurde lauter.
Ich war mir sicher, dass es ein Tornado war.“
Als seine Freunde sahen, wie verängstigt er war, riefen sie:
„Oh, es sind nur die Tauben, die über uns fliegen.“11
Nur etwa hundert Jahre später war die Wildnis völlig dieses beeindruckenden Vogels beraubt worden. Die überzogene Jagd des Tieres war einer der Hauptgründe für seine Ausrottung. 1914 starb das letzte Tier, ein Weibchen namens Martha, in Gefangenschaft. Nur wenige Jahre später würde der letzte Karolinasittich – der einzige heimische Papagei der USA, eingekleidet in wunderbar grün strahlendes Gefieder – in genau dem gleichen Gehege von der Erde scheiden. Sein Name war Inkas.12

Eine ganz besondere Aura der Einsamkeit umgibt die Erzählungen von diesen Allerletzten ihrer Art. Bei “Lonesome George” etwa, dem letzten bekannten Exemplar der Pinta-Riesenschildkröte, ist der Name Programm. Schon Mitte des 20. Jahrhunderts wurde seine Art für ausgestorben gehalten, doch Forschende würden schwer ins Staunen geraten, als sie 1971 einen Nachzügler der Spezies entdeckten. Da sich jedoch dem alten Junggesellen kein Weibchen anschließen würde, blieb das Schicksal der Tierart beschlossen. Im Alter von etwa 100 Jahren starb Lonesome George 2012 an Herzversagen. Eigentlich ist es für die Vertreter seiner Art üblich, bis zu 200 Jahre alt zu werden.
Man kann kaum glauben, dass es noch trauriger geht. Doch der hawaiianische Vogel Kauaʻi ʻōʻō vermag mit seiner Geschichte sogar das tierunfreundlichste Menschenherz zu erweichen. Offiziell ein letztes Mal gesichtet wurde er 1987. Damals machte der Biologe Jim Jacobi eine Aufnahme seines Gesangs, unwissend, damit ein letztes Zeugnis einer bald für immer verschwundenen Art zu schaffen. Zu hören ist das Lied eines Männchens, das eine Melodie zum Paarungsaufruf in den Dschungel hinaus singt. Dazwischen hält der Vogel inne, um auf eine Antwort zu lauschen … Die jedoch niemals kommt.13
Wir können nicht sicher wissen, ob wir hier tatsächlich den Allerletzten seiner Art hören. Vor dem Hintergrund der Auslöschung des Kauaʻi ʻōʻō fällt es jedoch nicht schwer, die Tragik dieses letzten Liedes zu erkennen; die Melancholie eines einseitigen Duetts, das eine katastrophale Botschaft in sich trägt.
Der Kauaʻi ʻōʻō fiel einer Reihe von Bedrohungen zum Opfer: eingeschleppten Krankheiten, dem Ausweiten der menschlichen Agrarwirtschaft und dem damit einhergehenden Verlust von Lebensraum sowie der Konkurrenz mit durch Menschen gebrachten, invasiven Spezies. Kurz: Kolonialismus und seine mannigfaltigen Folgen wurden zur Katastrophe für den einzigartigen Vogel, der berühmt war als einer der talentiertesten Sänger Hawaiis.
Damit ist der Kauaʻi ʻōʻō noch lange nicht das einzige Wesen, das diesem unterdrückerischen Regime menschlicher Macht zum Opfer fiel. Auch Kreaturen wie der Beutelwolf, der als klauendes Raubtier von Vieh verteufelt und deshalb regelmäßig umgebracht wurde, oder die Wandertaube, die zu einem der beliebtesten Beutetiere für Jäger wurde, teilen dieses traurige Schicksal. Sie sind nur wenige von vielen.
Teilweise war diese Ausrottung beabsichtigt, war eine perfide Taktik mit einer düsteren Ziel. Der Bison etwa ist wohl eines der ikonischen Tiere Nordamerikas. Ähnlich wie die Wandertaube in überwältigenden Ansammlungen durch die Wildnis streifend, bevölkerten viele Millionen Bisons bei der Ankunft der Europäer*innen die Weiten der heutigen USA. Doch der Kolonialismus fegte über das Land wie ein zerstörerischer Sturm. Weil sie wussten, dass sie damit den Indigenen eine wichtige Nahrungs- und Ressourcenquelle entreißen konnten, erschossen die Kolonist*innen alle Bisons, die ihnen unterkamen. Berühmt wurde dabei der Ausspruch „Töte jeden Büffel, den du kannst! Jeder tote Büffel ist ein Indianer weniger.“ 14 Zwischenzeitlich gab es deshalb nur noch etwa 100 Tiere.15 Heute leben in den USA dafür aber um die 330 Millionen Amerikanier*innen, wovon weniger als 7 Millionen Menschen von der indigenen Bevölkerung Nordamerikas abstammen.16
Den Zusammenhang zwischen unserem übermäßigem Konsum und dem Massenaussterben von Tieren erkennen die meisten Menschen. Doch sofern wir unsere Mit-Erdlinge (egal, ob Tier oder Mensch) aufrichtig schützen wollen, ist es unerlässlich, die europäische Kolonisierung vieler heuter “Entwicklungsländer” in diese Rechnung mit einzukalkulieren. Ökosysteme bleiben durch eine sensible Balance erhalten, die der Kolonialismus vielerorts maßgeblich aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Diese Ungleichheit, unter der Menschen wie Tiere kolonisierter Länder weiterhin leiden, wurde nie fundamental korrigiert.
Diese Tatsache wird auch durch die Geschichte so vieler verschwundener, aber auch geretteter Arten deutlich. Es wäre falsch, alle Völker ausgebeuteter Länder über einen Kamm zu scheren, doch es ist unbestreitbar, dass sich viele ethnische Gruppen, die unter dem Einfluss der europäischen Kolonisierung litten, umweltbewusster verhielten als für europäische Machthaber üblich. In ihrem Essay Conservation’s Biggest Challenge? The Legacy of Colonialism (Deutsch: Die größte Herausforderung für den Naturschutz? Das Erbe des Kolonialismus) sammelt die Ökologin Asia Murphy zahlreiche Beispiele für Völker, die aktiv Maßnahmen für den Schutz von Tierbeständen praktizierten. Durch ihre weit zurückreichende Erfahrung und ihre Verbundenheit mit ihrer Umwelt entwickelten sie Traditionen, die das Aussterben vieler Tierarten verhinderten. Im vorkolonialen Simbabwe etwa war es verboten, seltene Arten wie Schuppentiere ohne die Erlaubnis des Häuptlings zu töten.17 In Guatemala war es seine mythologische Bedeutsamkeit für Indigene, die aller Wahrscheinlichkeit nach dem Vogel Quetzal das traurige Schicksal anderer ausgestorbener Tiere ersparte.18 Und die Inuit sahen sich im Gegensatz zu kolonialen Mächten nicht als Landbesitzende, sondern als Landbewohende, die Teil eines größeren Zyklus waren, der ihnen Leben schenkte und deshalb in Balance gehalten werden musste.
Ob wir wollen oder nicht: Wir alle gehören diesem System, das wir Erde nennen. Diesem komplexen Zusammenspiel von Naturkräften, das wir beeinflussen, jedoch kaum gezielt kontrollieren können. Die Klimakrise mit seinen immer extremeren Fluten, Dürren und Stürmen offenbart, wie sehr dieses System aus dem Gleichgewicht geraten ist. Aber auch die Armut der Menschen der “Entwicklungsländer” – den eigentlich oft ressourcenreichsten Teilen der Welt – steht für eine Ungleichheit, die Folge eines wirtschaftlichen Systems ist, das einen Großteil unserer Spezies benachteiligt.
Während ich diesen Text schrieb, träumte ich mich immer wieder in Linda Hogans wunderbares Buch The Radiant Lives of Animals zurück, in dem die amerikanische, indigene Autorin des Chickasaw-Volkes ihre persönlichen Geschichten mit den verschiedensten Tieren beschreibt, verwoben mit den spirituellen Lehren ihrer Ahnen. Sie erzählt von kranken Pferden, die sie versorgte und wie sie dabei selbst Heilung für sich fand. Voller Poesie und Bewunderung berichtet sie außerdem von ihrer Freundschaft mit Katzen und Wölfen, Schlangen und Krähen, Berglöwen und Elchen. Begleitet werden ihre Berichte von Gedichten, Legenden und lehrreichen Fakten, die die Tiere im Kopf des Lesers beseelen. Ich glaube, dass nur so eine Wahrnehmung unserer natürlichen Welt ernsthaft zu ihrem Schutz vor uns selbst verhelfen kann: Ein neugieriger, wissenschaftlicher Blick, der aber auch Mythen wertschätzt, die uns auf emotionaler Ebene daran erinnern, wie wichtig eine gesunde Umwelt ist und wie verbunden wir mit ihr sind. Nicht nur ist diese Weltsicht unerlässlich, um dieses sensible System zu erhalten, sondern auch uns selbst. In den Worten von Hogan:
Für indigene Völker war dies schon immer eine Konstante. Das Tierreich, die heiligen Gewässer und die umgebende Welt in ihrer Gesamtheit sind unserem menschlichen Leben ebenbürtig.
Wir sind nur ein Teil davon, und ein solches Verständnis bietet uns die Großzügigkeit und den Reichtum unserer Welt, die es zu schützen gilt, weil sie wirklich das Wesen der Menschen ist.
Es ist an der Zeit, dass wir uns wieder daran erinnern, was wirklich wichtig ist. Andernfalls wird es weiterhin Fotos wie den des letzten Berberlöwen geben und Videos wie das des letzten Beutelwolfs. Heilen wir nicht das System, das uns Leben spendet, wird sonst die letzte Aufnahme eines letzten Exemplars einer fast ausgelöschten Spezies von besonders tragisch-trauriger Art sein: Das Selfie eines Menschen.
- World is ‘on notice’ as major UN report shows one million species face extinction, United Nations ↩︎
- Bundeszentrale für politische Bildung ↩︎
- Examining the Extinction of the Barbary Lion and Its Implications for Felid Conservation, Simon A. Black et al.
(h ↩︎ - The lion in Algeria, Pease, A. E. ↩︎
- A Glimpse of What We’ve Lost: 10 Extinct Animals in Photos, Mat McDermott ↩︎
- September 7, 1936: The last Thylacine, David Bressan ↩︎
- 10 weird and wonderful wildlife of Australia, The Nature Conservatory ↩︎
- Did This Man Find The Extinct Tasmanian Tiger?, Vice ↩︎
- Is that a thylacine? Camera trap footage released but experts dismiss claims of rediscovery, Jackson Ryan ↩︎
- De–extinction Company Aims to Resurrect the Tasmanian Tiger, Kate Evans ↩︎
- Stories and Quotes about the Passenger Pigeon ↩︎
- Ten Last Photos of Extinct Animals, All.About.Nature ↩︎
- This bird was just declared extinct. You can hear its final song, Mark Kaufman ↩︎
- ‘Kill Every Buffalo You Can! Every Buffalo Dead Is an Indian Gone’, J. Weston Phippen ↩︎
- Conservation’s Biggest Challenge? The Legacy of Colonialism, Asia Murphy ↩︎
- Die Nachfahren der amerikanischen Ureinwohner heute, Martina Frietsch ↩︎
- More than Just Story Telling: A Review of Biodiversity Conservation and Utilisation from Precolonial to Postcolonial Zimbabwe, Tanyaradzwa Chigonda ↩︎
- Synergy Between Traditional Ecological Knowledge and Conservation Science Supports Forest Preservation in Ecuador, C. Dustin Becker und Kabita Ghimire ↩︎