Das Leben auf einer schwimmenden Müllinsel hatte so seine Vorteile. Innerhalb der übersichtlichen Grenzen ihrer kleinen Welt hatte Pepsi die Gewissheit, dass niemand ihren Kindern etwas antun könnte. Das Meer versorgte die Familie großzügig mit Algen, Muscheln und Fischen. Sie waren sicher und versorgt, fernab der Strahlung und den Dürren des Kontinents.
Vor allem aber waren sie den Vorherigen so nah wie niemand sonst. Schließlich war die Insel aus ihren Geschenken gemacht. Die Natur hatte aus den Schätzen der Vorher-Welt ein wundersames Zuhause gewoben, mit Hilfe der Strömungen der Weltmeere. Eine Ansammlung von Meerespflanzen und verlorenen Fischernetzen hielt ihr Zuhause zusammen. Auf diesem Wunderwerk, geschaffen innerhalb der Spannung zwischen Natur und Zivilisation, hatte die religiöse Praktik der Familie eine neue Ebene der Ehrung erreicht. Bei ihren täglichen Tänzen ums Feuer fühlten sich Pepsi und die Kinder den Vorherigen so intensiv verbunden wie nie zuvor. Über ihnen begleiteten sie leuchtende Sternzeichen auf ihrer unendlichen Reise über die Weltmeere. Die Tetra-Pak™-Formation. Das doppelte Coca-Cola™-C. Die Apple™-Konstellation. Manchmal leuchtete das Meer selbst mit. Wer sich traute, sprang in den nächtlichen Ozean und badete in Biolumineszenz.
Ihr Leben war nicht perfekt. Da war vieles, das der Familie fehlte. Aber die Kinder – allesamt einst von ihren leiblichen Eltern verlassen – waren hier sicher. Es gab sonst kaum Überreste einer lebenswerten Welt. Ihr bescheidenes Zuhause war gut genug. Dachte Pepsi jedenfalls.

Benommen richtete sich Pepsi eines Morgens in ihrer Hängematte aus Fischnetz auf und streckte sich. »No Pain, no gain«, flüsterte sie sich ihr Mantra zu.
Sie blickte auf ihren treuen Begleiter hinab, der mit der Eleganz eines toten Käfers in einem Rettungsring schnarchte. Auch ihr Hund sollte nicht faulenzen. Sanft trat sie gegen sein zusammengeschustertes Körbchen und trillerte: »Zeit zum Aufstehen, Skittles!«
Der schlug seine Pfoten über den Augen zusammen.
»Nur noch fünf Minuten, ich flehe dich an!«, jammerte er. Alles wie immer.
Pepsi wechselte derweil in ihr Trainingsoutfit: Ein blaues Plastiktüten-Oberteil mit IKEA-Logo und ein Rock, gebastelt aus den Überresten eines alten Schirms. Ihre dunklen Locken bändigte sie mit einem Kabelbinder. Jetzt, wo sie richtig wach geworden war, konnte sie das Training kaum erwarten. Reifenlauf! Kinder-Heben! Müllsack-Boxen! Als Belohnung würde sie sich ihre Muskeln mit etwas Algenöl einschmieren und das Lichtspiel der frühen Sonne auf ihrer glänzenden Haut bewundern. Sie trat aus ihrer Blechhütte heraus. Wie jeden Morgen wollte sie den neuen Tag zuerst mit einer Yoga-Übung begrüßen.
Doch am Horizont sah sie etwas. Hinter mehreren Meilen Meeresblau gab der sich lichtende Nebel etwas frei, von dem sie dachte, es nie wieder zu sehen. Dann bemerkte sie, wie die Kinder unten am morgengrauen Wasser herum hüpften.
»LAND IN SICHT!«, schrie Intel wieder und wieder.
»Endlich fester Boden!«, lachte Meister Proper.
»Eine völlig neue Welt!«, staunte die kleine Nestlé mit schwacher Stimme. Sie hatte seit Monaten einen üblen Husten und wurde immer blasser. Pepsi vermied darüber nachzudenken.
Alle Kinder stimmten jubelnd mit ein. Pepsi spürte ein Stechen in ihrer Brust. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich scheinbar von ihrem Zuhause weg-gesehnt hatten.
»Bestimmt genauso verseucht wie überall sonst auch«, grummelte sie.
Doch Samsung insistierte, sie sollten das Land wenigstens kurz erkunden. Er war das älteste der Kinder. Pepsi erinnerte sich, wie sie ihn als Kleinkind bei sich aufgenommen hatte. Sie werden so schnell erwachsen, dachte sie. Kaum sprießen Bartstoppeln, Achselhaare oder sonst was, widersprechen sie bei jeder Gelegenheit.

Ein Schauder ging durch Pepsi, als ihre nackten Füße den Boden des Festlandes berührten. Die feuchte Erde. Der Duft von frischem Gras. Der schrille Klang von Vogelgezwitscher. Das Dröhnen von Insekten. Sie fühlte sich wie eine Außerirdische in dieser Welt.
An ihr vorbei purzelte ein freudiger Haufen aus Kindern samt einem kichernden Hund. Die spontan entfachte Party ignorierte Pepsis Flehen nach Vorsicht und Ruhe. Stattdessen schmissen sich ein Dutzend Kinderkörper in eine Wiese und rollten frohlockend einen Hügel hinunter. Meister Proper spuckte angewidert ein paar Blätter aus, die er gerade von einem Busch gerissen hatte. Exxon versuchte, irgendein winziges, flinkes Säugetier zu streicheln. Skittles pinkelte das erste Mal an einen wahrhaftigen Baum.
Pepsi betrachtete die grüne Küste der fremden Insel. Der Großteil des Ufers grenzte sich durch steile Klippen vom Meer ab. Hie und da waren ein paar Bäume und Büsche zu sehen, doch vor allem bedeckten Moose und Gräser den Boden wie ein dichter Teppich. Pepsi konnte es nicht leugnen: Hier handelte es sich nicht um ein Ödland wie auf dem alten Kontinent.
»Island«, hörte sie einen Jungen mit Stimmbruch sagen. Sie drehte sich zu Samsung um, der einen mit einer Weltkarte bedruckten Ball in der Hand hielt.
»Ich habe gründlich darüber nachgedacht«, sprach er weiter. »Es kann nicht anders sein. Wir sind auf Island gelandet.«

Im warmen Licht des Lagerfeuers stellte sich Pepsi dem Gespräch mit den Kindern. Das Stechen in ihrer Brust wurde immer intensiver, je mehr sie von ihren Visionen für ihr neues Zuhause schwärmten. Von all der unbekannten, schmackhaften Nahrung, die sie essen würden. Von den neuen Spielen, die jetzt möglich waren. Aber am schlimmsten war, dass sie ihre Müllinsel – ihre Arche, ihr Heim – in all seine Einzelteile zerstückeln wollten, um daraus ein neues Zuhause zu errichten. Pepsi hörte wie gelähmt zu.
Dann sagte Skittles: »Ihr wisst, dass Samsung und ich uns häufig dem Studieren von Büchern gewidmet haben. Oder zumindest, was davon übrig war.«
Pepsi schnaubte. So oft hatte sie ihnen gesagt, dass in den meisten Büchern nur Schwachsinn stand. All das ach so kluge Wissen der Welt hatte sie nicht vor ihrem Untergang bewahren können. Von Bedeutung war nur, was Bestand hatte, was sich hielt. Wie der Müll. All die Kunststoffe der Vorherigen, mit deren Hilfe die Familie überlebte. Für die sie die Vorherigen ehrten, indem sie sich ihre Namen auferlegten.
Samsung sprach weiter: »In einem dieser Bücher fanden wir mehr über Island heraus. Dass es mal dicht bewaldet war, bevor Menschen kamen und rodeten. So viel, dass heute kaum noch Bäume übrig sind. Mittlerweile ist es hier deutlich wärmer als früher. Diese Insel hat sich schon mal verändert. Und sie kann es wieder tun.«
Skittles schaute Pepsi eindringlich an. »Es gibt einen Ort, der für unser Überleben unerlässlich ist. Einen Ort, der genau all die nötigen Samen enthält, die wir brauchen, um uns eine wirklich lebenswerte Zukunft aufzubauen. Ein Saatgut-Tresor, entworfen von Wissenschaftlern. In Spitzbergen. Die Vorherigen nannten ihn Doomsday Vault
»Brot. Früchte. Kräuter. Gewürze«, sagte Samsung.
»Und Heilpflanzen. Medizin.« Skittles schaute vielsagend Richtung Nestlé, die schwach hustete.
»All das könnten wir dort bekommen.«
Die restlichen Kinder machten große Augen. Pepsi hielt es nicht mehr aus und eilte schluchzend davon.

Skittles fand sie an einer Klippe sitzend. Über ihr leuchtete der Mond mit dem riesigen “X”, das einmal ein reicher Vorheriger darauf eingravieren ließ. Behutsam stupste der Hund mit seiner feuchten Nase an ihren Arm. »Man könnte meinen, du wärst das Kind«, witzelte er.
Pepsi schniefte.
»Ich kenne dich, Pepsi. Du hast so viel geleistet. Du hast uns versorgt und behütet vor den Gefahren der Welt. Und doch war unser bisheriges Leben wie ein Käfig, den wir uns selbst erschaffen haben. Ein angenehmer, sicherer Käfig. Aber trotzdem ein Käfig. Wir sind dankbar, Pepsi. Wirklich. Aber es ist an der Zeit, etwas zu verändern.«
»Es war die Wissenschaft, die die Bomben baute. Die die Viren erschuf. Die das Gift in die Böden injizierte. Die Wissenschaft hat die Welt getötet. Und jetzt soll ich auf Wissenschaftler der Vergangenheit hören und mit ihren Mitteln die Welt neu aufbauen. Wozu? Damit sie bald wieder sterben kann?«
»Die Wissenschaft hat auch dafür gesorgt, dass ich reden kann. Es wäre ein großer Verlust gewesen, wenn ich dir nie widersprechen könnte. Du weißt doch gar nicht, was eintreten wird! Sieh dir Nestlé an. Sie wird immer schwächer. Aber es ist noch nicht zu spät. Du kannst sie noch retten!«
Pepsi wich seinem Hundeblick aus. Sie hatte Nestlé damals auf einem selbstgebauten Floß gefunden, das einsam im Meer umher trieb. Das Mädchen hatte sich kaum noch bewegen können. Ihre Haut war ganz rot und rissig von der Sonne gewesen. Sie hatte eine Rettungsweste angehabt. In ihrer Hosentasche fand Pepsi einen Zettel, auf dem Bitte kümmere dich um sie geschrieben stand. Womöglich wurde sie im letzten Moment wie eine Flaschenpost verschickt, um sie vor einem anderen Unheil zu bewahren. Nestlé war jemandem wichtig gewesen, der sie nicht alleine retten konnte.
»Na gut«, seufzte Pepsi. »Was soll ich tun?«

Mit offenem Mund betrachtete Pepsi die irisierende Schneide ihrer neuen Waffe. Licht tanzte darauf in allen Farben des Spektrums. Das hätte sie den Kindern nicht zugetraut. Das Schwert, das sie hier aus Plastik und Schrott geschmiedet hatten, jedoch aussah, als wäre es aus reinem Perlmutt, war eine wahrhaftige Meisterleistung.
Bepackt mit getrocknetem Fisch und gekleidet in einem Mantel aus zusammengetackerten Textil-Teilen, stieg sie in das Kanu, das sie nach Spitzbergen bringen sollte. Sie hatte sich noch nie so klein gefühlt wie in dem Moment, als sie den Kindern vom Meer aus zum Abschied zuwinkte. Innerlich betete sie zu den Vorherigen, dass ihnen während ihrer Abwesenheit nichts zustoßen würde.

Die körperliche Anstrengung bewahrte sie vor dem unerträglichen Kreiseln ihrer Gedanken. Doch sobald sie eine Pause vom Rudern einlegte, schmiedete sie an ihrem Plan. Glycyrrhiza Aldosteronsa. Das war das Kraut, das sie für Nestlés Medizin brauchen würde. Alles andere würde sie schlicht nicht finden. Keinen Weizen, keinen Hopfen, keinen Apfelbaumsamen. Die Kinder würden ihr glauben, dass andere Menschen den Ort bereits ausgeraubt hatten, ohne etwas übrig zu lassen. Die Familie würde wieder mit ihrer Müllinsel in See stechen und alles würde beim Alten bleiben. Während sie so vor sich hin grübelte, kündigten tanzende Polarlichter am Himmel ihren Übergang in die wundersame Welt an, die sie erwartete.

Nach einigen Tagen kam sie schließlich an. Eine verheißungsvolle Stille umgab sie, als sie ihr Boot durch die nebligen Felsen Spitzbergens steuerte. Nur das Plätschern des Wassers war zu hören. Pepsi träumte vor sich hin.
»Psst!«
Sie riss ihr Schwert hoch. »Wer war das?!«
Da sah sie etwas im Wasser gleiten. Einen grauen Körper, der um ihr Kanu kreiste. Eine Robbe? Plötzlich wackelte ihr Boot heftig. Direkt vor ihr sprang etwas aus dem Wasser. Eine nackte Frau! In der Luft drehte sie sich um ihre eigene Achse und zwinkerte ihr zu. Mit offenem Mund sah Pepsi, wie sich die Fremde in eine Robbe verwandelte, sobald sie wieder vom Wasser umschlossen war. Ihr wurde schwindelig. Das Wesen streckte wenige Momente später seinen Kopf aus der Oberfläche und war bis zum Hals wieder menschlich.
»Keine Sorge, meine Schöne. Das Schwert kannst du wieder niederlegen. Ich bin nur eine harmlose Selkie. Und neugierig darüber, was eine Amazone denn in meine Gegend verschlägt.«
Pepsi starrte die Selkie für einige Sekunden mit offenem Mund an.
»Ich … ähm …«, stammelte sie. »Ich bin keine Amazone. Und, also, einfach gesagt, es soll hier etwas geben. Etwas, das ich brauche. Samen.«
»Ach, diese menschengemachte Kammer? Ich habe schon einige Abenteurer beobachtet. Wie sie hierher kamen, die Insel aber nie wieder verließen.«
»Was macht diesen Ort denn so gefährlich?«
»Naja. Hier, zwischen dem Ende und dem Beginn der Welten, tummeln sich Gottheiten und fantastische Wesen aller Art. Alles, was sich je ein Mensch, egal welchen Volkes, ausgedacht hat, huscht durch die Risse, einfach um zu schauen, was hier so passiert.«
Pepsi verstand kein Wort.
»Nun, ich habe jedenfalls zu tun und muss weiter. Danke für das Gespräch. War nett.«
Demonstrativ wandte sie sich von der Selkie ab. Pepsi entschied sich dafür zu glauben, sie sei nur eine Halluzination. Die Selkie kam unbeirrt näher ans Boot und hauchte mit kühlem Atem: »Ein altes Biest ist endlich frei. Und es hat Hunger. Es ist nicht zu spät, umzukehren, meine Abenteurerin.«
Dann tauchte sie ab und verschwand. 

Pepsi fiel es immer schwerer, ihre Angst zu ignorieren, während sie tiefer in diese stille Welt trieb. Doch sobald der Drang zum Umkehren unerträglich wurde, stellte sie sich Nestlés Husten vor. Glycyrrhiza Aldosteronsa. Nur eine kleine Sache, die sie besorgen musste. Sie würde es schaffen.

Irgendwann stieß ihr Boot auf Grund und sie musste zu Fuß weiter. Im Mondlicht schimmerten moosbewachsene Hügel, über die schon lange kein Mensch mehr gewandert war. Manchmal sah sie im Augenwinkel etwas vorbeihuschen. Hie und da glaubte sie, leises Kichern hinter sich zu hören. Als hätte die Landschaft Augen und Ohren. Sie hielt den Griff ihres Schwertes fest mit den Fingern umschlossen.
Kurz vor den ersten Sonnenstrahlen sah sie etwas Großes in der Ferne, etwas, das zu wandern schien. Als sie die Augen zusammenkniff, um es besser zu erkennen, machte sie nur menschenähnliche Schemen aus, erstarrt in den ersten Strahlen der Morgensonne. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie viel ihr Plastikschwert wohl gegen Stein-Trolle ausrichten könnte.

Nach vielen Stunden schmückte den Horizont endlich das Ziel, nach dem sie Ausschau gehalten hatte: Das vor Ewigkeiten errichtete Dorf der Menschen. Nur noch eine weite Ebene, bedeckt von einer dünnen Schicht Schnee, trennte sie von dem ehemaligen Zuhause Vorheriger. Ein bitterer Wind zog an ihr, doch der Himmel war hell und klar. Als sie weiterging, spürte sie etwas im Nacken. Sie wandte sich um.
Zwei riesige, gelbe Augen starrten in sie hinein. Ihre Instinkte pressten einen Schrei aus ihr heraus, noch bevor ihr Kopf verstand. Direkt vor ihr richtete sich ein riesiger grauer Wolf auf – um ein Vielfaches größer als sie selbst – und blickte sie erwartungsvoll an. Sein feuchter, heißer Atmen strich über ihre Wangen.
»Hast mich wohl nicht kommen sehen«, sprach der Wolf und der Boden bebte. Er neigte seinen schweren Kopf zur Seite.
»Bin äußerst fähiger Schleicher, trotz Größe. Können Menschen immer nicht fassen.«
Pepsis starre Finger legten sich steif um den Griff ihres Schwertes.
»Wer bist du? Und was willst du?« Ihre Stimme zitterte.
»Noch nie von mir gehört? Name ist Fenrir. Bin großes Ding in Götterwelt. Haben Angst vor mir.«
Jetzt entdeckte Pepsi die Ketten, die den Wolf an mehreren Stellen festhielten und weit in alle Himmelsrichtungen verliefen. Fenrir bemerkte ihren Blick.
»Ketten. Geschmiedet aus Atem eines Fischs, Schritten einer Katze, Furcht eines Bären, Mut eines Vogels, Bart einer Frau, Wurzeln eines Berges. Götter banden meine Macht.«
Da, wo die Ketten sich um den Körper des Wolfs schlängelten, erkannte Pepsi tiefe Wunden.
»Das muss sehr weh tun«, sagte sie.
»Sehr«, bestätigte der Wolf. Aus seinen Augen wich plötzlich jegliches Gefühl. »Aber nichts schmerzt so wie Hunger.«
Der Wolf riss sein Maul auf und fasste nach ihr. Sie zog ihr Schwert und holte aus. Zähne und Ketten und eine Schneide blitzen im Sonnenlicht. Einen Wimpernschlag später ertönte ohrenbetäubendes Klirren. Fenrir biss ins Nichts. Er schaute sich um und sah, dass die fremde Menschenfrau eine seiner Ketten durchschlagen hatte. Die metallene Schlinge um seinen Hals löste sich und glitt zu Boden, wo sie zu Staub zerfiel.
»Die Kette!«, raunte Fenrir. »Hast sie durchbrochen! Aber wie …?«
Pepsi, selbst überwältigt von ihrer Macht, starrte auf die völlig unbeschädigte Schneide. Dann lachte sie erstaunt und sagte: »Durch ein Schwert, geschmiedet aus der Weisheit von Kindern.«
Somit spaltete Pepsi jede der Ketten, die den Wolf gefangen hielten.
Fenrir weinte.
»Verzeih, ich wollte dich fressen!«, heulte er, während Pepsi ihm die Schnauze tätschelte.
»Böses hat dich veranlasst, Schreckliches zu tun. Die Welt stirbt und sie lebt wieder. Du wurdest zum Monster gemacht und kannst wieder zurück gemacht werden«, flüsterte sie in sein riesiges Ohr.
»Frage hast du mir noch nicht beantwortet«, sagte Fenrir. »Was tust du hier?«
Nachdenklich betrachtete sie das Schwert. Sie hatte die Kinder unterschätzt. Sie erkannte jetzt, dass sie das schon immer getan hatte. Bald würden sie Pepsi nicht mehr brauchen. Und das war gut so.
»Ich muss jemandem helfen. Geh jetzt und suche dir zu Essen. Die ganze Welt steht dir nun frei. Und bald wird die ganze Welt selbst wieder satt sein.«
Schwach, aber bestimmt, richtete sich Fenrir auf. »Versprich, erzähl nicht von Tränen. Erzähl Fenrir war ganz schrecklich, böse, gefährlich. Sonst denken Leute, war völlig umsonst gefesselt, all die Zeit.«
Pepsi versprach, Fenrirs Ruf zu wahren. Er verschwand so still und leise, wie er erschienen war.

Schnell erreichte sie das Dorf und das große Tor zum Saatgut-Tresor. Sie schritt durch mehrere Tunnel, die je durch schwere Türen getrennt waren. Die Türen hatten Schlüssellöcher, waren jedoch alle offen. Ein Vorheriger hatte wohl bedacht, dass nach dem Ende der Welt eines Tages jemand hierherkommen könnte. Bald fand sie, was sie suchte. Und es war deutlich mehr als nur ein Kraut gegen Husten.
Als ihr Boot an den letzten Felsen Spitzbergens vorbei glitt, spritzte ihr plötzlich Wasser ins Gesicht. Die Selkie sprang wie ein Delfin aus dem Meer und jubelte: »Du hast es geschafft! Die erste Abenteurerin, die auch wieder zurückkehrt! Ich wusste doch, dass es wirklich Amazonen gibt!«

Zuhause wurde Pepsi von ihrer Familie mit einer schmerzhaft überschwänglichen Gruppenumarmung begrüßt. Danach bewunderte sie die cleveren Konstruktionen, die die Kinder aus dem Material der Müllinsel geschaffen hatten. Ein richtiges kleines Dorf, mit einer zentralen Feuerstelle und sogar einem Aquädukt samt Wasserrad. Exxon verkündete stolz, schon ganz kurz davor zu sein, einen Plan für eine richtige Mühle zum Mahlen von Mehl zu entwerfen.
Auch Pepsi hatte etwas vorzuweisen. Sie präsentierte die prall gefüllte Kiste, vollgestopft mit den Samen ihrer gemeinsamen Zukunft. Skittles sprang begeistert an ihr hoch und sprudelte nur so über mit Plänen darüber, wo sie welche Pflanzen wie anbauen würden.
»Ich habe es schon ganz klar vor Augen!«, sagte er. »Siehst du es auch?«
Pepsi lächelte und sagte: »Ehrlich gesagt, sehe ich es selbst noch nicht. Aber ich vertraue euch.«